Die Bezeichnung Wanderhoden umschreibt eine besondere Lageanomalie des Hodens, der sich dabei außerhalb des Hodensacks befindet. Diese Position kann der Hoden entweder dauerhaft oder nur kurzzeitig einnehmen. Tritt das Symptom bei männlichen Säuglingen auf, so ist es medizinisch meist unbedenklich, sofern sich der Hoden innerhalb der ersten 6 Lebensmonate selbstständig in den Hodensack zurückzieht. Hält die Lageanomalie des Hodens jedoch länger an oder entsteht im Erwachsenenalter aufgrund bestimmter Vorgeschichte, ist Vorsicht geboten. Lesen Sie im Folgenden, aus welchen Gründen es zu wandernden Hoden kommen kann und welche Methoden sich zur dauerhaften Behandlung eignen.
Entstehung eines Wanderhodens
Innerhalb der embryonalen Entwicklung eines männlichen Säuglings entstehen die Hoden (Testikel) aus einer Gonadenanlage auf Höhe der Nieren. Von dort aus bewegen sich beide Hoden nach ihrer Reifung über den Leistenkanal in den Hodensack (Skrotum), wo sie jeweils in das entsprechende Skrotalfach des Hodensacks eintreten. Dieser Vorgang, der sogenannte Hodenabstieg (Descensus testis), beginnt in der fünften Embryonalwoche und ist im Regelfall bis zur Geburt des Kindes erfolgreich abgeschlossen. Allerdings kann es während dieser embryonalen Entwicklung zu Störungen (Maldescensus testis) kommen, die dann für eine sogenannte Hodendystopie, also eine Lageanomalie des Hodens sorgen.
Zu unterscheiden ist bei Hodendystopien zwischen Hodenhochstand und Hodenektopie. Die Hodenektopie bezeichnet hierbei eine extreme Lageabweichung des Hodens von dem durch die Embryonalentwicklung vorgegebenen Wanderpfad (z.B. bei Lage des Hodens im Oberschenkel- oder Dammbereich).
Hodenhochstand hingegen stellt eine Lageanomalie innerhalb der natürlichen Strecke der Hodenwanderung vom Leistenbereich Richtung Hodensack dar. Der Wanderhoden im Speziellen ist hierbei eine Sonderform von Hodenhochstand. Allerdings wird der Begriff auch oft als Synonym für Hodenhochstand verwendet, deshalb hier ein kleiner Überblick zu den verschiedenen Varianten des Hodenhochstands:
- Kryptorchismus – Kryptorchismus (von griech.: kryptos für „verborgen“) ist eigentlich eine Sammelbezeichnung für Formen von Hodenhochstand, bei denen die Testikel augenscheinlich unauffindbar sind. Häufig finden sich die Hoden bei Kryptorchismus im Bauchraum wieder, weshalb diese Variante des Hodenhochstands auch als „Bauchhoden“ bekannt ist.
- Leistenhoden – der Hodenabstieg erfährt im Leistenkanal einen Stillstand.
- Gleithoden – der Hoden liegt im Leistenkanal, kann aber durch Druck kurzzeitig in das Skrotum verschoben werden.
- Wanderhoden – der Hoden befindet sich abwechselnd im Hodensack oder Leistenkanal. Die Positionsänderung des Hodens wird dabei von den Kremastermuskeln des Oberschenkels verübt, die sich zusammenziehen und dabei den Hoden aus dem Skrotum in den Leistenkanal ziehen. Aufgrund ihrer schwankenden Lagecharakteristik trägt diese Variante von Hodenhochstand den Beinamen „Pendelhoden“.
Ob nun als Sonderform oder Synonym von Hodenhochstand – ursächlich für die Entstehung des Wanderhodens können zahlreiche Einflussfaktoren sein. Einzelheiten hierzu entnehmen Sie bitte der nachstehenden Übersicht:
- hormonelle Störungen: Kommt es innerhalb der embryonalen Entwicklung des Kindes zu Hormonstörungen, so kann dies den Abstieg der Hoden verzögern oder nur unvollständig in Gang bringen. Wandernde Testikel sind hier als Ausdruck eines gestörten bzw. nicht abgeschlossenen Hodenabstiegs zu verstehen.
- Substanzeinfluss während der Schwangerschaft: Einige Forscher nehmen an, dass die Einnahme von Schmerzmitteln innerhalb der Schwangerschaft die Entstehung einer Hodendystopie begünstigen kann. Möglicherweise können so auch Rauschmittel einen Einfluss auf die Entstehung von Hodenhochstand nehmen.
- anatomische Fehlbildungen: Es ist möglich, dass die Hoden während ihrem Abstieg in die Skrotalfächer des Hodensacks auf Hindernisse stoßen, die es den Testikeln unmöglich machen, sich vollständig in das Skrotum zurück zu ziehen. Denkbar ist beispielsweise ein zu kurzer Samenstrang oder ein stark verengter Leistenkanal, der ein Hin- und Herwandern der Testikel zwischen Hodensack und Leistenkanal provoziert.
- Reizeinflüsse: Ist ein verhältnismäßig kurzer Samenstrang vorhanden, so kann es sein, dass Hodenhochstand auch im Erwachsenenalter auftritt. Oftmals sind es dann Kältereize oder sexuelle Erregung, welche die Testikel zum Wandern animieren.
Behandlung des Wanderhodens
In der Regel sind Wanderhoden medizinisch unbedenklich, da sich bei vielen Säuglingen eine derartige Hodendystopie innerhalb der ersten 6 Lebensmonate selbstständig kuriert. Bleibt ein Wanderhoden aber darüber hinaus bestehen, so kann das wiederholte Wandern des Hodens in die Warme Bauchhöhle dazu führen, dass das kältebedürftige Gewebe des Hodens Schaden nimmt. Im schlimmsten Fall kommt es hierdurch zu einer bleibenden Fruchtbarkeitsstörung oder zur Entstehung von Hodenkrebs. Um dies zu vermeiden, ergreifen Ärzte bei überdurchschnittlich langanhaltendem Hodenhochstand folgende Maßnahmen:
- Hormontherapie – Ergibt sich innerhalb der ersten 6 Lebensmonate kein spontaner Hodenabstieg, so wird versucht, diesen mittels Hormonpräparaten zu fördern. Hierzu wird für einen Zeitraum von 4 Wochen Gonadoliberin verabreicht. Anschließend wird dem Säugling für weitere 3 Wochen β-hCG zugeführt. Beide Hormonpräparate sind in Form von Nasensprays erhältlich und sollen neben dem Hodenabstieg auch die Reifung der Keimzellen des Kindes auslösen.
- Orchidopexie – Verbleiben die Hoden trotz Hormonstimulierung in ihrer unnatürlichen Position, sollte eine operative Fixierung des Hodens noch vor Abschluss des ersten Lebensjahres vorgenommen werden. Hierzu wird der Hoden mitsamt seinem Samenstrang innerhalb einer Orchidopexie am tiefsten Punkt des Skrotums festgenäht. Der Eingriff kann meist ambulant erfolgen. Unterstützend werden nach der Operation weiterhin Hormone verabreicht.
Wanderhoden – Wann zum Arzt?
Wie bereits erwähnt, sind wandernde Testikel zunächst keine medizinisch bedenkliche Indikation, die einer Behandlung bedarf. In der Regel bewegen sich die Hoden in den ersten Lebensmonaten selbstständig in das Skrotum, sodass nicht mit Folgeschäden zu rechnen ist. Auch ein verkürzter Samenstrang, der im Erwachsenenalter gelegentlich zu pendelnden Testikeln führt, ist normalerweise kein Grund zur Sorge. Verbleiben die Hoden allerdings für einen längeren Zeitraum in der Bauchhöhle oder werden häufig tiefer in diese hineingezogen, so kann dies zu ernsthaften Folgeschäden wie Unfruchtbarkeit oder Hodenkrebs führen. Suchen Sie daher mit ihrem Kind bitte stets einen Arzt auf, wenn…
…der Wanderhoden länger als 6 Monate besteht.
…der Hoden dauerhaft in der Bauchhöhle verbleibt.
…Ihr Kind durch die Hodendystopie an Schmerzen leidet.
Fazit
Der Wanderhoden kann entweder als Sammelbegriff für Formen von Hodenhochstand oder als Sonderform des Hodenhochstands verstanden werden. Als Sonderform pendelt die Lage des Hodens hier abwechselnd zwischen Leistenkanal und Hodensack. Wird der Begriff als Synonym für Hodenhochstand gebraucht, so kann sich die Hodenlage dauerhaft vom Hodensack in den Leistenkanal oder Bauchraum verschieben. Sofern sich die Lageanomalie innerhalb der ersten 6 Monate nach der Geburt des männlichen Säuglings korrigiert, besteht für gewöhnlich kein Grund zur Sorge. Besteht das Symptom allerdings über das 6. Lebensmonat hinaus, so sollte eine Kontrolluntersuchung erfolgen. In einigen Fällen können chronisch wandernde Testikel nämlich Impotenz befördern oder gar schwere Schäden in den männlichen Genitalien hervorrufen. Auch bei dem als Kryptorchismus bezeichneten Bauchhoden sowie bei einer Hodenektopie sind entsprechende Behandlungen erforderlich.