Das Fitnesstraining von heute unterscheidet sich zumindest dem ersten Eindruck nach erheblich von dem vor einem Jahrzehnt. Nicht nur haben sich die einstigen „Muckibuden“ zu Sport- und Wellness-Tempeln für die breite Masse entwickelt. Auch die Trainingsmethoden haben sich gewandelt. Während Yoga und Pilates in den letzten Jahren einen starken Auftrieb erlebt haben, haben auch im Bereich des Krafttrainings neue Herangehensweisen Einzug gehalten.
Dazu gehören das Training mit elektrischen Impulsen, die Kieser-Methode und Freeletics als intensives Training mit dem eigenen Körpergewicht. Doch was taugen diese Ergänzungen wirklich? Handelt es sich dabei um sinnvolle Neuerungen oder steckt hinter modern klingenden Namen und umfangreichen Trainingskonzepten letzten Endes doch nur heiße Luft? Hier möchten wir uns etwas näher mit dieser Frage beschäftigen.
EMS – Training mit elektrischen Impulsen als neuer Trend
Muskelaufbau durch elektrische Impulse, das klingt im ersten Moment moderner, als es eigentlich ist. Tatsächlich wird Strom in der Physiotherapie schon seit vielen Jahrzehnten eingesetzt – zum Beispiel, um Patienten nach einer Operation schneller wieder auf die Beine zu helfen.
EMS (Elektro-Myo-Stimulationstraining) nutzt Strom nach demselben Prinzip, um den Effekt von Krafttraining gezielt zu verstärken. Dies funktioniert folgendermaßen:
- Der Sportler zieht einen engen Mikrofaseranzug an, an dem Elektroden über verschiedenen Muskelgruppen befestigt sind. In der Regel ist der Anzug selbst zu Beginn des Trainings feucht, um seine Leitfähigkeit zu verbessern.
- Nun werden verschiedene Übungen absolviert. Währenddessen werden elektrische Impulse an die Muskeln abgegeben, die dazu führen, dass sich diese stärker kontrahieren als durch die Fitnessübungen allein.
Die Auswirkungen von EMS-Training sind für den Trainierenden deutlich spürbar. Denn durch die zusätzlichen elektrischen Reize sind selbst leichte Übungen plötzlich mit großer Anstrengung verbunden. Doch was bringt dies im Endeffekt außer dem Gefühl, ein hartes Training absolviert zu haben?
Eine Studie der Sporthochschule Köln zeigt, dass die sogenannten CK-Werte bei einem EMS-Training etwa 18 Mal stärker ansteigen als bei einem herkömmlichen Krafttraining. Bei CK handelt es sich um das Enzym Creatin-Kynase, das die Muskelzellen mit Energie versorgt. Dies allein ist ein deutliches Zeichen für die Effektivität des Trainings mit elektrischem Strom, es deutet aber auch auf die damit verbundenen Gefahren hin. Denn CK wird über die Nieren abgebaut. Viel zu trinken, ist deshalb bei EMS besonders wichtig, um Nierenschäden zu vermeiden.
Noch wichtiger ist es, es nicht zu übertreiben. Denn wenn der Strom vom Anbieter zu hoch eingestellt wird, kann es zu schweren gesundheitlichen Beeinträchtigungen kommen. Experten raten deshalb dazu, sich nicht zu stark auf einen möglichst großen Effekt in kurzer Zeit zu konzentrieren, sondern kontrolliert mit niedrigen Stromstärken zu trainieren. Da die elektrischen Impulse grundsätzlich von dem jeweiligen Anbieter eingestellt werden, ist bei der Auswahl desselben besondere Vorsicht geboten. Allgemein wird laut evivam.de dazu geraten, EMS nicht allein, sondern nur in Kombination mit normalem Krafttraining auszuüben. Da jede EMS-Einheit mit Kosten verbunden ist, sollten Trainierende bereit sein, etwas tiefer in den Geldbeutel zu greifen.
Zusammengefasst lassen sich die Vor- und Nachteile von EMS folgendermaßen darstellen:
Deutliche Trainingseffekte in kurzer Zeit (+)
Zwei Mal zwanzig Minuten pro Woche genügen in der Regel (+)
Gefahr von Überbelastung und gesundheitlichen Schäden (-)
Nur in Kombination mit herkömmlichem Training sinnvoll (-)
Auf Dauer deutlich höhere Kosten als für ein normales Training (-)
Die Kieser-Methode – Krafttraining auf andere Art
Auch die aktuell besonders populäre Kieser-Methode ist nicht neu, sondern fast ein halbes Jahrzehnt alt. Sie geht auf Werner Kieser zurück, der mittlerweile weithin als Fitness-Guru gehandelt wird. Seine Fitness-Studios, die sogenannten „Kieser-Studios“ heben sich vor allem durch folgende Eigenschaften von anderen ihrer Art ab:
- Alles, was nicht unmittelbar mit dem Training zu tun hat, fehlt. Das bedeutet, es gibt keine Sauna, keine Bar und keine wellnessmäßige Inneneinrichtung.
- Auch ein Ausdauerbereich ist in Kieser-Studios nicht vorhanden, ebenso wie Kurse.
- Kieser-Studios sind in der Regel nicht ganz so billig wie Discounter aber deutlich günstiger als gängige Studios mit Wellnessbereich.
- Das Training wird ausschließlich an Geräten durchgeführt.
- Jedem Studio ist eine ärztliche Praxis angeschlossen.
Der Fokus der Kieser-Methode liegt auf dem gezielten Aufbau der Rückenmuskulatur. Damit soll dem Volksleiden Rückenschmerzen vorgebeugt oder ihm begegnet werden. Dies geschieht in Kieser Studios durch ein High Intensity Training mit einer Dauer von rund 30 Minuten. Dabei beschränkt sich die Ausführung jeder Übung auf einen Satz.
Unter Experten ist die Kieser-Methode sehr umstritten. Zwar bestätigen Studien die hohe Bedeutung einer kräftigen Rückenmuskulatur in der Vorbeugung von Rückenschmerzen. Allerdings halten viele Sportwissenschaftler weder den Verzicht auf einen Ausdauerbereich noch die Beschränkung auf einen Trainingssatz und ein bis zwei Trainingseinheiten in der Woche für sinnvoll. Die asketische Einrichtung der Kieser-Studios stößt auf unterschiedliche Resonanz. Während sich manche gerade von der Konzentration auf das Wesentliche angesprochen fühlen, kritisieren andere, dass das Training so zur reinen Qual werde.
Als Vor- und Nachteile von Kieser-Training lassen sich anführen:
Billige Trainingsgebühren (+)
In den Kosten ist eine ärztliche Betreuung enthalten (+)
Kurze Trainingszeiten (+)
Kein Ausdauerbereich und keine Kurse (-)
Methode wissenschaftlich stark umstritten (-)
Freeletics – der letzte Schrei
Auch bei Freeletics handelt es sich um High-Intensity-Training. Im starken Kontrast zu Kieser gibt es hier jedoch gar keine Geräte. Stattdessen genügen als Zubehör maximal eine Fitnessmatte und eine Klimmzugstange. Merkmale von Freeletics, das seit 2012 von dem gleichnamigen Unternehmen angeboten wird, sind außerdem:
- Die Trainingspläne rufen Nutzer von einem elektronischen Coach ab, über die Internetseite von Freeletics oder eine App.
- Das Training setzt sich aus verschiedenen Übungen zusammen, die in der Regel Klassiker sind, hier aber unter neuen Namen auftauchen. Dazu gehören Liegestützen und Kniebeugen, ebenso wie Sprints.
- Einzelne Workouts tragen Namen aus der griechischen Mythologie wie Hera oder Poseidon.
- Die Trainingseinheiten sind kurz, in der Regel maximal 45 Minuten.
- Häufig organisieren sich Freeletics zum Training in Gruppen. Wer möchte, kann aber auch allein trainieren.
Dass Hoch-Intensitäts-Intervall-Training (HIIT) einen Effekt hat, ist mittlerweile in zahlreichen Studien erwiesen, die der Spiegel anführt. Notwendig dafür ist die Bereitschaft, an die eigenen Grenzen zu gehen. Nicht umsonst hat Freeletics vor allem in der Gruppe eine gewisse Ähnlichkeit mit militärischen Übungseinheiten nach dem Motto „Aufgeben gilt nicht“. Zudem führen Experten an, dass die korrekte Ausführung der Übungen zentral ist. Wer Kniebeugen falsch absolviert, kann sich damit langfristig eher schaden als nutzen. Anfänger sind von diesem Risiko besonders betroffen, ebenso wie von der Gefahr, sich zu überanstrengen.
Insgesamt lassen sich folgende Vorteile und Nachteile von Freeletics zusammenfassen:
Große Flexibilität, da an vielen Orten durchführbar (+)
Kurze Trainingseinheiten (+)
Nachgewiesene Effektivität bei richtiger Durchführung (+)
Trainieren in der Gruppen für höhere Motivation möglich (+)
Gefahr von Verletzungen durch falsche Ausführung der Übungen (-)
Risiko von Überanstrengung (-)
Hohe „Leidensbereitschaft“ erforderlich (-)
Welches Training ist für wen geeignet?
Diese Frage lässt sich schwer pauschal beantworten. Generell bietet sich EMS als wirksame Trainingsergänzung für die meisten Sportler an, vorausgesetzt, man wählt den Anbieter sorgfältig aus. Als alleinige Trainingsart ist es dagegen nicht empfehlenswert. Ähnliches behaupten viele Experten auch von Kieser Training. Wer sich dazu entscheidet, sollte demnach zusätzlich regelmäßige Ausdauereinheiten absolvieren. Die kurze Trainingszeit und die Konzentration auf das Wesentliche stellen vor allem Vorteile für Menschen dar, die wenig Zeit zur Verfügung haben und/oder für Fitnessstudios opfern möchten. Geringe Monatsbeiträge machen Kieser-Studios außerdem für Menschen mit geringen Einkommen bezahlbar. Die Konzentration auf die Kräftigung der Rückenmuskulatur spricht häufig vor allem ältere Menschen an. Allerdings profitieren auch Jüngere davon, vorausgesetzt sie glauben an die Wirksamkeit der Kieser-Methode.
Und Freeletics? Wer gerne an die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit geht und unabhängig von Geräten oder Gewichten trainieren möchte, kann sich ruhig einmal an der Methode versuchen. Gerade Anfänger sollten allerdings vorsichtig vorgehen, um Verletzungen durch eine Überanstrengung oder die falsche Ausführung von Übungen zu vermeiden. Der große Vorteil von Freeletics ist, dass die Methode auch einen intensiven Work-out im Hotelzimmer ermöglicht.
Fazit
Ob EMS, Kieser-Training oder Freeletics, wirklich neu ist keiner dieser Trends, auch wenn das so manche Marketingmaßnahme behauptet. Ob sie im Einzelfall Vorteile gegenüber einem herkömmlichen Fitnesstraining bieten, muss jeder für sich selbst entscheiden. Im Zweifelsfall geht Probieren über Studieren. Experten raten jedenfalls dazu, langsam an die Sache heranzugehen. Davon abgesehen ist Trainieren allein nicht genug. Wer von den Auswirkungen eines gesunden Lebensstils profitieren möchte, sollte auch im Alltag auf regelmäßige Bewegung und eine gesunde Ernährung achten. Andernfalls macht es wenig Sinn, zweimal in der Woche unter Strom zu stehen.