Der Begriff Stupor entstammt dem Lateinischen und bedeutet dort so viel wie „Starre“ oder „Starrheit“. Im medizinischen Bereich beschreibt Stupor dabei eine Antriebsstörung, die Betroffene in nahezu gänzliche Reglosigkeit verfallen lässt. Begleitsymptome wie ein erstarrter Muskeltonus (Rigor) oder Stummheit (Mutismus) sind bei Starrheiten allgemein üblich. Darüber hinaus lässt sich mit Blick auf die Ursachen eine Verbindung zu seelischen oder psychischen Erkrankungen erkennen. Erfahren Sie in diesem Beitrag mehr über die krankhafte Starrheit sowie ihre Symptome und Behandlungsmöglichkeiten.
Wie entsteht eine Starre?
Die Ursache für eine krankhafte Starrheit ist Schockzustand, der entweder körperlich, geistig oder seelisch motiviert sein kann. In gewisser Weise handelt es sich bei Stupor also tatsächlich um eine Art „Schockzauber“, wobei medizinisch sowohl psychische als auch physische Ursachen für Stupor in Frage kommen. In beiden Fällen konzentriert sich der Ursachenherd jedoch auf das Gehirn. Dabei muss zwischen folgenden Formen von Starre unterschieden werden:
- depressive Starre – Die Starrheit ist auf eine schwere Depression zurück zu führen und geht meist mit einer inneren Resignation des Patienten einher. Dabei sei erwähnt, dass die Suizidgefahr trotz augenscheinlicher Starre äußerst hoch ist.
- katatone Starre – Der katatone Stupor ist die Folge einer schizophrenen Psychose. Autistische Auffälligkeiten, Muskelstarre und Katalepsien sind ebenfalls häufig zu beobachten.
- dissoziative Starre – Der dissoziative Stupor beschreibt alle Formen von psychogenen Starrheiten, die ohne vorausgegangene Depression oder schizophrene Psychose entstehen. Denkbar ist zum Beispiel ein seelisches Trauma oder erdrückende Probleme im Alltag.
- organisch bedingte Starre – Lassen sich organische Ursachen (z.B. Erkrankungen des Gehirns oder der Leber) als Grund für die Starrheit feststellen, so spricht man von einem organisch bedingten Stupor. Je nach Krankheitsursache kann die Starre hier lebensgefährlich sein.
- substanzbedingte Starre – Hier führen Medikamente oder Vergiftungen zur Starrheit. Wie der organisch bedingte Stupor kann auch der substanzbedingte Stupor lebensbedrohliche Ausmaße annehmen.
Ursachen für Stupor
Wie bereits erwähnt, spielen sich die Entstehungsabläufe von Stupor im Gehirn ab. Zum einen sind hier psychisch motivierte Schockzustände denkbar, die dem Patienten ein überwältigendes Gefühl der Ohnmacht bescheren, welches in Folge die apathische Reglosigkeit auslöst. Zum anderen kann Stupor auch das Ergebnis einer körperlichen Erkrankung oder Störung sein, die jene Gehirnareale beeinträchtigt, welche zur Bewegung unerlässlich sind. Nachstehend ein kleiner Überblick zu denkbaren Szenarien:
- seelische Probleme: Nimmt man eine Abstufung denkbarer Ursachen für Stupor vor, die sich am Gefahrenpotential der Starrheiten für das Leben des Patienten orientiert, so sind die Gründe für eine dissoziative Starre noch am „harmlosesten“. Dies bedeutet aber nicht, dass sie dem Betroffenen weniger Leid bescheren würden, denn um eine Starre auszulösen, muss das traumatische Erlebnis, beziehungsweise die belastende Alltagssituation schon sehr enorm sein. Auch sei darauf hingewiesen, dass auf eine dissoziative Starrheit durchaus eine depressive Starre folgen kann, nämlich dann, wenn die belastenden Ursachen nicht behandelt werden und so zu einer Depression oder posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) führen.
- psychische Erkrankungen: Seelische Probleme und psychische Erkrankungen werden von Laien häufig gleichgesetzt. Dabei ist gerade in Sachen Stupor eine saubere Unterscheidung wichtig. Während seelische Probleme nämlich eine dissoziative Starrheit mit eher geringer Suizidgefahr hervorrufen, ist das Selbstmordrisiko bei psychischen Störungen oder Erkrankungen enorm. Hierzu zählen vor allem Angststörungen, Psychosen, Schizophrenien, Depressionen und PTBS. Es handelt sich hierbei also um Ursachen einer depressiven oder katatonen Starre.
- körperliche Erkrankungen: Organisch bedingter Stupor wird zumeist von Erkrankungen des Gehirns, wie zum Beispiel Enzephalitis, Meningitis, Epilepsie, Demenz, Hirnödeme oder Gehirntumor ausgelöst. Darüber hinaus kommen auch Erkrankungen anderer Körperorgane als Ursache für Starrheiten in Betracht. Insbesondere Erkrankungen der Leber (z.B. hepatische Enzephalopathie), der Niere (z.B. bei Morbus Addison) oder des Stoffwechsels (z.B. bei Hyperhaliämie oder Porphyrie) gelten diesbezüglich als mögliche Urheber der Starre. Und selbst Infektionserkrankungen des Zentralnervensystems, beispielsweise durch Tollwut oder Tetanus riefen in der Vergangenheit schon Stupor hervor.
- Substanzeinfluss: Als medikamentöse Nebenwirkung tritt Stupor vor allem bei Neuroleptika und Antiepileptika (z.B. Valproinsäure) auf. Dabei ist eine Medikamentenvergiftung als Auslöser nicht ausgeschlossen. Des Weiteren haben chemische Drogen wie PCP oder LSD den Ruf, Starrheiten zu befördern.
Symptome bei Stupor
Die Symptome bei Stupor sind oftmals abhängig von der jeweiligen Ursache. So zeigen Patienten mit katatoner Starre zum Beispiel häufiger sogenannte Katalepsien, die mit stark gekrümmter und lang beibehaltener Körperhaltung einhergeht. Mutismus und eine stark verminderte Reaktion auf Umweltreize ist hingegen auch für depressive und dissoziative Starrheiten üblich. Sind körperliche Erkrankungen oder Vergiftungen mit im Spiel, so kann zudem eine erhöhte Körpertemperatur auftreten. Eine Unterbrechung des Stupor durch plötzliche und willkürliche Bewegungen aufgrund heftiger Erregungszustände (z.B. bei Epilepsie) ist im Rahmen von Vorerkrankungen ebenfalls denkbar. Insgesamt kann Stupor folgende Symptome verursachen:
- Apathie, Teilnahmslosigkeit und autistisches Verhalten
- gar nicht oder sehr ausgeführte Bewegungen
- gekrümmte bzw. lang beibehaltene Körperhaltung (Katalepsie)
- Fieber
- Lethargie
- Muskelstarre (Rigor)
- Stummheit (Mutismus)
- kurzfristige Unterbrechung der Starre durch rasche Bewegungen
Diagnose und Behandlung bei Stupor
Zur Diagnose können bei Stupor sowohl allgemeinärztliche als auch psychologische Untersuchungen notwendig werden. In jedem Fall gilt es, die Krankengeschichte und das Alltagsgeschehen des Patienten sorgfältig unter die Lupe zu nehmen. Auch Fragen zu seelischen Traumata und Beziehungsproblemen sollten Bestandteil der Anamnese sein. Danach erfolgt zunächst eine körperliche Untersuchung, bei der Ärzte den Muskeltonus, die Schmerzreize, Reaktions- und Kommunikationsfähigkeit des Patienten prüfen. Bluttests, Untersuchungen der Rückenmarksflüssigkeit und Untersuchungsverfahren wie EEG und MRT liefern abschließend genauere Informationen zu möglichen Ursachen.
J. K. Rowling wendet in Harry Potter den Zauberspruch „Rennervate“ an, um den Schockzauber zu brechen. Dahinter verbirgt sich eine magische Energie-Invasion, die dem durch Stupor verzauberten und geschwächten Gegenüber neue Kraft und Energie verleihen soll. Tatsächlich sieht die Behandlung der medizinischen Starre ähnlich aus, zumindest, wenn sie einen psychischen Hintergrund hat:
- Zuwendung und soziale Interaktion: Der regelmäßige Versuch, einer von Zuwendung, Anteilnahme und emotionaler Wärme gezeichneten Kontaktaufnahme ist sehr wichtig, um Patienten, die eine depressive, katatone oder dissoziative Starre aufweisen, wieder empfänglich für schöne Sinneseindrücke zu machen. Den Betroffenen zu einem Spaziergang in einem ruhigen Waldstück zu entführen ist ebenfalls eine gute Möglichkeit, um ihn von seiner tristen Reglosigkeit zu entbinden. Ferner sind Hobbies eine wunderbare Möglichkeit, um den Alltag wieder aktiver zu gestalten. In der Anfangszeit sollte hier stets eine Vertrauensperson mit an den Aktivitäten teilhaben, damit sich der Betroffene nicht alleine fühlt. Auch wirkt die Teilhabe einer weiteren Person meist motivierend auf den eigenen Antrieb. Nichtsdestotrotz sollte man dem Gegenüber zwanglose Motivation zukommen lassen und es lieber sanft zu mehr Aktivität animieren.
- entlastende Alltagsgewohnheiten und Reizreduktion: Laut Expertenrat erfordert gerade die dissoziative Starre eine reizarme Umgebung. Hektische, laute oder grell beschienene Orte sind als Ausflugsziel darum eher ungeeignet. Des Weiteren kann Patienten mit psychisch motiviertem Stupor ein energiespendender Ernährungsplan mit viel frischem Obst, Gemüse und Lieblingsspeisen guttun. Gleiches gilt für eine stressfreie Alltagsplanung und Entspannungsmaßnahmen wie Yoga, Massagen oder ein warmes Erholungsbad.
- Bewältigungstherapie: Traumatische Erlebnisse, wie auch zahlreiche Gründe für Depressionen, Angstzustände und Psychosen, sollten bei Stupor im Rahmen einer Gesprächstherapie verarbeitet werden. Ergänzend können spezielle Therapieangebote gezielte Bewältigungs- und Verhaltensstrategien vermitteln, die den Patienten künftig vor einer psychischen Krise mit anschließender Schockstarre bewahren. Ist die Starrheit krankheitsbedingt ein chronisches Problem, so sollten Betroffene erlernen, richtig mit ihrem Stupor umzugehen.
- medikamentöse Behandlung: Medikamente nehmen bei der Behandlung von Stupor eine mitunter sehr wichtige Rolle ein. Nicht nur, dass psychische Erkrankungen Antipsychotika (z.B. Fluphenazin oder Haloperidol) und Antidepressiva (z.B. Amitryptilin, Citalopram oder Doxepin) behandelt werden müssen. Auch andere Krankheitsursachen erfordern zumeist die Einnahme von Medikamenten. So muss Epilepsie als Ursache der Starrheit ggf. mit Antiepileptika behandelt oder das Antiepileptikum gewechselt werden, sofern es zu unerwünschten Nebenwirkungen geführt hat. Entzündungs- und Infektionskrankheiten machen wiederum den Einsatz von Antibiotika oder anderen entzündungshemmenden Präparaten notwendig.
- stationäre und intensivmedizinische Überwachung: Konnte seitens des Arztes eine erhöhte Suizidgefahr festgestellt werden, so ist vorübergehend eine Rundumüberwachung des Patienten von Nöten. Doch auch Krankheiten, die mit lebensbedrohlichen Komplikationen (z.B. Thrombosen) einhergehen, machen eine Überwachung der Vitalfunktionen notwendig. Die Nahrungsaufnahme muss bei Stupor ggf. durch künstliche Ernährung erfolgen. Bei Vorliegen schwerer Vergiftung, Entzündungs-, Infektions- oder Tumorerkrankung wird der Patient unter Umständen auf die Intensivstation verlegt.
Stupor – Verlauf, Komplikationen und Prävention
- Die Starre kann eine vorübergehende Schockreaktion auf belastende Erlebnisse und in diesem Zusammenhang nach geeigneter Gegenbehandlung schnell wieder verschwunden sein. Schwere Grunderkrankungen und psychische Störungen machen Stupor hingegen oft zu einem wiederkehrenden Problem. Es ist deshalb äußerst wichtig, Stupor ursachenorientiert zu behandeln, um ein erneutes Auftreten zu verhindern.
- Komplikationen entstehen bei Stupor zum Einen durch die eingeschränkte Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme, welche zu Störungem im Stoffwechsel und Elektrolythaushalt des Körpers führen kann. Zudem begünstigt anhaltende Reglosigkeit Thrombosen und Hautgeschwüre durch Wundliegen. Ebenfalls erwähnt sei, dass bei dauerhafter Starrheit ein Zerfall quergestreifter Muskelfasern (sogenannte Rhabdomyolyse) einsetzt, was im schlimsten Fall zu einem Nierenversagen führt. Nicht zuletzt sei mit Blick auf Komplikationen natürlich auch die erhöhte Suizidgefahr erwähnt, die sich maßgeblich bei seelisch oder psychisch bedingten Starrheiten ergibt.
- Vorbeugen lässt sich Stupor nur bedingt. Lebenslängliche, psychische Störungen wie Schizophrenie, ebenso wie unvorhersehbare Grunderkrankungen machen eine Prävention nahezu unmöglich. Depressionen und seelischen Belastungen lässt sich dagegen durchaus vorbeugen. Wichtig ist hier, die seelische Gemütsverfassung sorgsam zu beobachten und bei anhaltenden Verstimmungen passende Gegenmaßnahmen (z.B. Gesprächstherapien oder entspannte und heitere Alltagsplanung) zu ergreifen.
Fazit
Schockzauber gibt es nicht nur in Rowlings Harry Potter Büchern. Auch das Leben hält so manchen unerwarteten Schockmoment für uns bereit, was dann und wann zum buchstäblichen Erstarren vor Schreck führen kann. Daneben kann die medizinische Starre ebenso von verschiedenen Krankheiten und Substanzen ausgelöst werden, die für das Gehirn oder die Psyche eine herbe Belastung sind. Da in diversen Fällen von Stupor ein erhöhtes Suizid- bzw. Sterblichkeitsrisiko des Patienten vorliegt, ist Starrheit auch nicht auf die leichte Schulter zu nehmen. Betroffene sollten sich darum unverzüglich in ärztliche Betreuung begeben. Leichter gesagt als getan, denn Patienten mit Stupor neigen nicht nur zur Reglosigkeit, sondern auch zu Mutismus und Teilnahmslosigkeit. Angehörige und Bekannte sind darum stets zur Hilfeleistung angehalten, sofern sie beim Gegenüber entsprechende Symptome feststellen. Insgesamt sind von Fürsorge geprägte Kommunikations- und Interaktionsversuche für den Patienten unwahrscheinlich wichtig. Denn neben medikamentösen und / oder psychotherapeutischen Maßnahmen sind es vor allem Wärme und Zuneigung des sozialen Umfelds, die dabei helfen, Betroffene mit Stupor wortwörtlich zu remobilisieren.