Mangelsyndrome wie Marasmus sind in Entwicklungsländern eine gefürchtete Folge von Unterernährung. Schätzungen zufolge sind in besagten Ländern allein 200 Millionen Kinder von Marasmus betroffen, wobei die Dunkelziffer noch deutlich höher liegen dürfte. Wer nun aber denkt, dieses Syndrom sei ausschließlich in Entwicklungsländern anzutreffen, der irrt. Ebenso grassiert Marasmus inzwischen in diversen Krisengebieten der arabischen Halbinsel. Selbst in europäischen sowie asiatischen Industrieländern werden immer wieder Fälle von Marasmus bekannt. Hier sind vor allem Findelkinder und Menschen mit Essstörungen oder bestimmten Vorerkrankungen von dem Beschwerdebild betroffen. Erfahren Sie in diesem Beitrag mehr über das tückische Syndrom, seine Gefahren und Optionen bei der Behandlung.
Wie entsteht Marasmus?
Wie bereits angeführt, ist das Marasmus-Syndrom die Folge einer chronischen Unterernährung. Diese geht mit einer mangelhaften Zufuhr eiweiß-, fett- und kohlenhydrathaltiger Nahrungsbestandteile einher. Es handelt sich hierbei um eine äußerst aggressive Art von Protein- und Energiemangel. Sie bringt den Körper dazu, sich regelrecht selbst aufzuzehren, um den Mangelzustand durch Abbau körpereigener Eiweiß- und Energiereserven zu kompensieren. Vor allem die eiweißhaltigen Skelett- und Herzmuskeln geraten dabei in den Fokus des Abbauprozesses, was mit Blick auf die Fortbewegung und Herztätigkeit äußerst fatal ist. Zu unterscheiden sind hierbei drei Formen von Marasmus:
- Alimentärer Marasmus – Diese Variante bezeichnet die Reinform des durch Mangelernährung entstehenden Marasmus.
- Kwashiorkor-Marasmus – Eine Mischform zweier Mangelsyndrome, bei der es durch erhebliche Unterernährung neben Marasmus auch zu Hungerödemen (Kwashiorkor) kommt. Kinder, die an dieser Mischform leiden, weisen neben einem aufgezehrten Körper meist auch den sogenannten Hunger- oder Blähbauch sowie ein extrem aufgedunsenes Gesicht auf.
- Marasmus senilis – Diese auch als Altersschwäche bekannte Marasmusform ist klar vom Marasmus durch Unterernährung abzugrenzen. Sie beschreibt einen natürlichen Alterungsprozess, bei dem der Körper nach und nach Organ- und Gewebemasse abbaut, bis es schließlich zum natürlichen Tode kommt.
In besonders schweren Fällen von Marasmus verliert der Patient über 40 % seines Normalgewichts. Dies wirkt sich vor allem bei Kindern drastisch auf die körperliche und geistige Entwicklung aus. Zusätzlich kommt es zu gravierenden Störungen in der körpereigenen Produktion von Verdauungsenzymen und Gallensäuren. Dies stört wiederum die Möglichkeit zur angemessenen Aufnahme wichtiger Nahrungsbestandteile wie Fett oder Eiweiß. Ein Teufelskreis also, aus dem es ohne gezielte Spezialernährung kaum einen Ausweg gibt.
Ursachen für das Marasmus-Syndrom
Unterernährung kann auf vielseitige Art und Weise zustande kommen. Dabei ist Mangelernährung wie in Entwicklungsländern nur eine mögliche Variante, wie folgende Übersicht über die Ursachen zeigt:
- Unterernährung durch Lebensmittelknappheit: Sofern es für Betroffene aus Gründen der Lebensmittelknappheit keine Möglichkeit gibt, ausreichend Nahrung aufzunehmen, kann man Marasmus als Folge von Armut ansehen. Besonders häufig tritt das Syndrom hier nach der Stillzeit auf, wenn die kindliche Verdauung beginnt, sich auf den Verzehr fester Nahrung umzustellen. Eine gestörte Aufnahme von Nahrungsbestandteilen wie Fett, Proteinen und Kohlenhydraten führt während dieser sensiblen Umgewöhnungsphase besonders schnell zur Entstehung von Marasmus. Auch eine Mischform aus Marasmus und Kwashiorkor ist denkbar.
- Unterernährung durch Essstörung: In Industrienationen lässt sich das Mangelsyndrom vor allem auf Essstörungen wie Bulimie oder Magersucht zurückführen. Es sei erwähnt, dass diese Ursache in der westlichen Welt immer häufiger für Fälle von Marasmus sorgt. Dies hat unweigerlich mit der Popularität von ungesunden Schönheitsidealen unserer Zeit zu tun.
- Unterernährung durch Erkrankungen des Verdauungstraktes: Auch krankheitsbedingte Störungen in der allgemeinen Nährstoffaufnahme können zu Marasmus führen. Ebenso sind chronische Verdauungsprobleme, welche die Protein- und Energieverwertung des Körpers soweit beeinträchtigen, als Ursache von Mangelernährung denkbar. Bekannte Ursachen sind hier zum Beispiel das Kurzdarmsyndrom, chronische Pankreasinsuffizienz und Stenosen wie Achalasie.
- Unterernährung durch Infektionskrankheiten: Im Bereich der Infektionskrankheiten ist vor allem Tuberkulose als Auslöser des Marasmus-Syndroms bekannt. Verursacht durch verschiedene Arten von Mykobakterien, kann die Krankheit in besonders schweren Fällen für körperweite Entzündungen und Nekrosen sorgen. Sie manifestieren sich neben der Lunge auch in der Leber oder dem Darm. Sollte hierdurch die Aufnahme von eiweiß- und fetthaltigen Nahrungsbestandteilen nachhaltig eingeschränkt werden, ist eine chronische Unterernährung und damit auch ein Marasmus-Syndrom nicht auszuschließen.
- Unterernährung durch Tumorkrankheiten: Unter den Krebserkrankungen gelten vor allem Oropharynx- und Ösophakuskarzinome als typische Ursachen für Marasmus. Die Tumoren lösen ab einer bestimmten Größe schwere Stenosen im Rachen- und Speiseröhrenbereich, aus was die natürliche Nahrungsaufnahme erschwert. Nicht selten müssen Patienten dann künstlich ernährt werden. Oft können dem Körper auf diese Weise wichtige Nahrungsbestandteile jedoch nur noch in unzureichender Menge zugeführt werden.
Symptome bei Marasmus
Viele anfängliche Anzeichen von Mangelernährung nehmen im Verlauf von Marasmus eine extreme Form an. Das wohl offensichtlichste Anzeichen ist die drastische Gewichtsabnahme. Diese lässt Patienten ausgezehrt erscheinen und führt Schritt für Schritt zu einer starken Abzeichnung der Knochen unter der Haut. Weitere typische Symptome sind:
- eingefallenes Gesicht und vermehrte Faltenbildung
- Blähbauch und aufgedunsenes Gesicht (bei begleitendem Kwashiorkor)
- Muskelschwund und extreme Gewichtsabnahme
- stark gealtertes bis gebrechliches Erscheinungsbild
- Energie- und Antriebslosigkeit
- Probleme bei der Fortbewegung
- Durchfälle und Darmatrophie
- Dehydration
- Unterkühlung oder Fieber
- Herzrhythmusstörungen und niedriger Blutzuckerspiegel
- Entwicklungsstörungen (bei Kindern)
- erhöhte Krankheitsanfälligkeit durch stete Immunschwäche
- Teilnahmslosigkeit und Apathie (bei begleitendem Kwashiorkor)
Diagnose und Therapie bei Marasmus
Als klinisch erwiesen gilt Marasmus, wenn Patienten nur noch 60 % ihres Normalgewichts aufweisen. Das ärztliche Wiegen des Betroffenen ist also ein essenzieller Bestandteil der Voruntersuchung. Allerdings reicht meist schon eine Blickdiagnose aus, um das Mangelsyndrom festzustellen. Zur Überprüfung bestehender Organschäden und Gesundheitsprobleme kommen beim Screening ferner bildgebende Verfahren, Blut- und Leistungstests (z.B. zur Herzleistung oder Gehirntätigkeit) zum Einsatz. Sollte Kwashiorkor als begleitende Komplikation auftreten, hilft darüber hinaus eine Haaranalyse. Diese fördert im Falle von Hungerödemen eine erhöhte Haarbrüchigkeit sowie Haarentfärbung und Haarausfall zu Tage. Die aktuelle Therapie zur Bekämpfung von Marasmus sieht nach gültigem WHO-Schema anschließend folgende Maßnahmen vor:
- Erhöhung der Körpertemperatur: Zu Beginn der Therapie gilt es zunächst, die krankheitsbedingte Unterkühlung zu lindern, welche durch den Verlust von Körperfett entsteht. Zu diesem Zweck können gängige Hausmittel wie wärmende Decken, Wärmflaschen oder eine nachhaltige Regelung der Zimmertemperatur angewendet werden.
- Regulierung des Blutzuckerspiegels: Da die Mangelernährung durch unzureichende Kohlenhydratzufuhr auch zu einem stark abfallenden Blutzuckerspiegel führt, ist nach der Regulierung der Körpertemperatur die Gabe von Glucoselösungen oberstes Gebot. Diese sollte bei Kindern mindestens einen Tag lang alle zwei Stunden erfolgen, um ein Grundmaß an Energie zu gewährleisten.
- Rehydrierung: Ergänzend zur Gabe von Glucose kommen bei erheblicher Unterernährung Rehydrationslösungen zum Einsatz. So lassen sich der Elektrolythhaushalt, wie auch die Fließeigenschaften des Blutes normalisieren. Es ist wichtig, dass hierbei auf eventuelle Herzschwächen geachtet wird, die aufgrund der Mangelernährung entstehen. Zur Vermeidung weiterer Herzbelastungen und Kreislaufprobleme sollte die Rehydrationsläsung verhältnismäßig wenig Natrium und dafür mehr Kalium enthalten. Auch Magnesium unterstützt die Rehydrierung.
- gezielte Nährstoffzufuhr: Kernmaßnahme der Behandlung ist es natürlich, dem Körper die fehlenden Nährstoffe in ausreichender Menge zuzuführen. Dies muss jedoch durch sanfte Dosiserhöhung geschehen. In der ersten Woche verabreichen Ärzte hier zunächst wichtige Vitamine und essenzielle Spurenelemente, deren Dosis täglich angepasst wird. Ab der zweiten Woche folgen dann gezielte Protein- und Kaloriendosen, deren Menge sich ebenfalls schrittweise erhöht.
- Stärkung des Immunsystems: Die Zufuhr wichtiger Nahrungsbestandteile ist auch wichtig, um dem durch die Mangelernährung geschwächten Immunsystem wieder auf die Sprünge zu helfen. Mitunter haben die Immunschwächen bereits Infektionen befördert, die sich dann nur noch mit Breitbandantibiotika behandeln lassen. Darüber hinaus sind Impfungen zur Vorsorge zu empfehlen.
Marasmus – Verlauf, Komplikationen und Prävention
- Inwiefern ein Marasmus-Syndrom behandelt erfolgreich werden kann, hängt in erster Linie davon ab, wie lange das Problem ungehindert voranschreiten konnte. Es kann Jahre dauern, bis sich die durch Unterernährung entstandenen Veränderungen im Körperhaushalt wieder normalisiert haben. Bei Menschen mit Essstörung spielt zusätzlich der Wille des Patienten zur Umstellung seiner Ernährung eine wichtige Rolle.
- Komplikationen entstehen vor allem durch die vielschichtigen körperlichen Veränderungen, die im Zuge der Mangelernährung auftreten. Bei Kindern ist oft sogar ein lebenslanges körperliches Entwicklungsdefizit zu beobachten. Organveränderungen und damit einhergehende Funktionsstörungen sind ebenfalls zu erwartende Probleme. Darüber hinaus sei vor gefährlichen Fehlroutinen im Körperhaushalt gewarnt. Hat sich der Organismus erst einmal daran gewöhnt, sich selbst aufzuzehren, ist es ein langwieriger Prozess, ihn wieder davon zu entwöhnen. Von Erfolg gekrönt ist dieser Versuch leider nicht in allen Fällen.
- Vorbeugen lässt sich Marasmus nur durch die Vermeidung von Unterernährung. In Industrienationen ist dies wesentlich leichter zu erreichen als in Entwicklungsländern und Krisengebieten. Eine angemessene Nährstoffversorgung ist hier aufgrund von Lebensmittelknappheit oft nicht zu gewährleisten. Helfende Organisationen sind hier bislang die einzige Hoffnung auf Besserung. Aus diesem Grund möchten wir an dieser Stelle jeden dazu anhalten, bei der globalen Prävention von Unterernährung und ihren Folgen zu helfen.
Fazit
Hinter Marasmus verbirgt sich ein lebensgefährliches Syndrom, das im Zuge anhaltender Unterernährung einsetzt und den Körper dazu veranlasst, sich selbst aufzuzehren. Ursächlich ist ein Protein-, Fett- und Kohlenhydratmangel, der zu einem schwerwiegenden Energiedefizit im Körperhaushalt führt. Die Mangelerscheinung provoziert in Folge einen steten Abbau von körpereigenen Nährstoffreserven, der sich ohne geeignete Gegentherapie nicht mehr stoppen lässt.