Schon vor über 1000 Jahren behandelten Heiler beispielsweise in China und Ägypten Kranke mit Cannabis. Nach Europa kam die Heilpflanze im 19. Jahrhundert. Ein irischer Arzt, der in Indien stationiert war, hatte die medizinische Wirksamkeit kennengelernt. Im Zuge der Rationalisierung und Regulierung, also der Moderne in der Medizin, geriet die Pflanze aber zunehmend aus dem Blick und Vorurteile gegen Cannabis als Rauschmittel nahmen zu. So kam es, dass medizinisches Cannabis bis heute in seiner Wirkung vergleichsweise wenig untersucht ist. Auch deshalb war eine medizinische Behandlung mit Cannabis in Deutschland und vielen anderen Ländern in der Vergangenheit nicht möglich, da der Hauptwirkstoff THC als illegal im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes eingestuft wird. Erst vor fünf Jahren änderte sich dies in Deutschland.
Im Bereich der medizinischen Behandlung mit Cannabis ergaben sich in den letzten Jahren einige grundlegende Änderungen – die allerdings einigen (Er-)klärungsbedarf mit sich bringen. So hat sich das Spannungsverhältnis zwischen der weit verbreiteten Überzeugung, dass Cannabis eine wirksame Behandlung für ein breites Spektrum von Krankheiten ist, und dem Mangel an wissenschaftlichen Erkenntnissen über seine Auswirkungen in letzter Zeit durch die Bestrebungen zur Legalisierung noch verschärft.
In diesem Ratgeber möchten wir Sie über die aktuelle gesetzliche und medizinische Lage bezüglich der Behandlung von Erkrankungen mit Cannabis informieren und Ihnen eine Möglichkeit für den leichteren Einstieg in eine Therapie für Betroffene vorstellen.
Was unterscheidet die deutsche Gesetzgebung zu medizinischem Cannabis von jener anderer EU-Länder?
Seit 2017 ist es nach deutschem Recht Ärzten erlaubt, Medikamente auf Cannabisbasis zu verschreiben, einschließlich Cannabisblüten, -extrakte und einzelne Cannabinoide. Unter bestimmten Voraussetzungen müssen die Krankenkassen die Kosten für die Therapie übernehmen. Diese dürfen laut Gesetz nur in Ausnahmefällen einen Antrag auf Kostenübernahme ablehnen.
Was sind die größten Herausforderungen, denen sich Patienten, die in Deutschland Zugang zu Cannabis wünschen, derzeit gegenübersehen?
Viele Ärzte zögern, Cannabis aufgrund der umfangreichen Bürokratie und des Risikos von Regressansprüchen zu verschreiben. Wie könnte das System geändert werden, um die Ausstellung von Verschreibungen zu erleichtern und gleichzeitig die Sicherheit der Patienten zu gewährleisten?
Im Wesentlichen gibt es vier Möglichkeiten:
- Ärzte sollten bei der Verschreibung von Cannabis-Medikamenten von Regressansprüchen befreit werden. Ähnliche Ausnahmeregelungen gibt es bereits für die Verschreibung anderer sehr teurer Medikamente, zum Beispiel bei Autoimmunkrankheiten, die mit Biologika behandelt werden.
- Die Kosten für Cannabis könnten in Deutschland erheblich gesenkt werden. Die gleichen Sorten von Cannabisblüten, die in den Niederlanden 6 bis 7 Euro pro Gramm kosten, kosten in Deutschland mehr als dreimal so viel. Experten halten dies für völlig überzogen.
- Patienten sollten ihr eigenes Cannabis anbauen dürfen, wenn sie ein ärztliches Attest vorlegen können, nach dem eine Therapie mit Cannabis notwendig ist.
- Die Entscheidung, ob eine Behandlung mit Cannabis notwendig ist, sollte von Ärzten getroffen werden, nicht von den Krankenkassen.
Gibt es für Betroffene die Möglichkeit, sich besser auf den Einstieg in die Therapie vorzubereiten?
Auch hier zeichnet sich Bewegung ab. So erleichtert zum Beispiel das Startup nowomed mit digitalen Lösungen den Einstieg in die Cannabis-Therapie. Nach der Online-Registrierung auf der Website oder per App, tritt das Support-Team in Kontakt mit den Interessenten. Daraufhin muss ein Fragebogen ausgefüllt werden und Dokumente hochgeladen werden. Überstehen die Angaben die Prüfung, kann ein persönliches Erstgespräch zwischen Patient und behandelnden Arzt vereinbart werden. Stellt sich dann heraus, dass der potenzielle Patient alle Voraussetzungen für eine Cannabis-Therapie erfüllt, kann in der Regel direkt begonnen werden. In regelmäßigen Abstand wird der Fortschritt oder etwaige Probleme mit den Präparaten per Videosprechstunde begleitet.
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Standorte von nowomed gibt es mittlerweile u.a. in München, Berlin. und Köln. „Bald werden aber neue Standorte hinzukommen, auch durch Kooperationen, um die Distanzen noch weiter zu verringern. Denn wir haben auch schwer kranken Patienten, die nicht so weit reisen können“, erklärt Florian Wesemann, medizinischer Direktor von nowomed. Zuletzt wurden neue Standorte in Nürnberg und Braunschweig eröffnet.
Wie wird sich die deutsche Politik zu medizinischem und Freizeit-Cannabis in Zukunft entwickeln?
Das 2017 verabschiedete Gesetz zu medizinischem Cannabis hat zunächst deutliche Verbesserungen gebracht. Da das Gesetz immer restriktiver angewandt wurde, gibt es seitdem Rückschläge. Mittelfristig gehen Experten jedoch davon aus, dass sich die Situation wieder verbessern wird. Der Druck der Patienten und der Öffentlichkeit wird zu groß sein, um diese Einschränkungen auf Dauer zu verteidigen. Zudem gibt es in den politischen Parteien, vor allem im medizinischen Bereich, immer mehr Bestrebungen, nicht mehr zu restriktiv an das Thema heranzugehen.
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