Bei Baclofen handelt es sich um einen rezeptpflichtigen Arzneistoff, der zur Behandlung der erhöhten Muskelspannung (Spastizität) eingesetzt wird. Spastizität tritt auf bei Schädigungen des Zentralen Nervensystems und äußert sich in unkontrollierbaren, schmerzhaften Verkrampfungen der Skelettmuskulatur. Erhöhte Muskelspannung selbst ist keine Krankheit, sondern kann Symptom unterschiedlicher Erkrankungen sein. Baclofen, welches zur Gruppe der sogenannten „Muskelrelaxanzien“ zählt, wird derzeit in erster Linie zur Behandlung der Spastizität aufgrund von Rückenmarksverletzungen oder Multipler Sklerose verwendet. Darüber hinaus testen laufende Studien die Wirksamkeit des Arzneimittels zur Therapie der Alkoholsucht, nachdem der französische Kardiologe Oliver Ameisen einen Selbstversuch in der Behandlung der Alkoholabhängigkeit unternahm.
Baclofen – Zufallserfolg mit starker Wirkung
Der Wirkstoff wurde erstmals im Jahre 1962 von dem Chemiker Heinrich Keberle synthetisiert. Keberle arbeitete zu diesem Zeitpunkt an einem Projekt des ehemaligen schweizerischen Chemie- und Pharmaunternehmens „Ciba“ (nach der Fusion mit dem Unternehmen „Sandoz“ 1996 unter dem Namen „Novartis AG“ mit Sitz in Basel bekannt) zur Entwicklung von Medikamenten gegen Epilepsie. Nach ersten Testreihen mit Baclofen wurde klar, dass der Wirkstoff für die Epilepsie-Therapie nicht brauchbar war; der antispastische Effekt jedoch war so stark, dass weitere Forschungen angestellt wurden. Der Wirkstoff wurde im Jahre 1968 patentiert und ist heute in zahlreichen Medikamenten zur Muskelentspannung enthalten.
Einer breiteren Öffentlichkeit wurde Baclofen im Jahre 2009 bekannt, als der französische Kardiologe Oliver Ameisen die Wirksamkeit von Baclofen zur Therapie der Alkoholsucht beschrieb. In seinem Buch „Das Ende meiner Sucht“ schrieb Ameisen über seinen diesbezüglichen Selbstversuch. In Frankreich wird der Wirkstoff bereits seit vergangenem Jahr eingeschränkt zur Behandlung der Alkoholsucht empfohlen. In Deutschland ist diese Anwendung gegen Alkoholabhängigkeit bisher nicht zulässig. Es kann jedoch davon ausgegangen werden, dass in naher Zukunft auch hierzulande eine Alkoholabhängigkeit unterstützend mittels Baclofen behandelt wird.
Die Therapie – Anwendungsgebiete und Wirkungsweise von Baclofen
Baclofen hat muskelentspannende Wirkung und kann daher überall dort angewendet werden, wo eine Verkrampfung der Skelettmuskulatur (Spasmus) vorliegt. Bei der Skelettmuskulatur handelt es sich um jene Muskeln im menschlichen Körper, die direkt oder indirekt am Knochen ansetzen und die Sie bewusst steuern können (im Unterschied beispielsweise zur Herzmuskulatur, auf deren Tätigkeiten Sie keinerlei Einfluss haben). Ein erwachsener Mensch besitzt mehr als 600 sogenannter „Skelettmuskeln“.
Durch eine Reihe von Krankheiten kann in diesen Muskelgruppen eine erhöhte Spannung ausgelöst werden, die vom Körper selbst nicht mehr zu regulieren ist. Folge der erhöhten Spannung sind Verkrampfungen der betroffenen Muskeln, die häufig mit starken Schmerzen einhergehen. Zu den Erkrankungen, die diese sogenannten „Spasmen“ auslösen, zählen u.a. Multiple Sklerose, Kinderlähmung oder Rückenmarksverletzungen aufgrund von Traumata. In jedem Falle ist das zentrale Nervensystem betroffen, wenn eine erhöhte Muskelspannung vorliegt. Eine solche erhöhte Spannung entsteht in der Regel aufgrund von fehlerhaften Kontrollmechanismen im Gehirn oder im Rückenmark.
Bei nicht erkrankten Menschen senden Gehirn und Rückenmark über bestimmte Botenstoffe (die sogenannten „Neurotransmitter“) die Signale an die Muskeln, welche sich dann entweder an- oder entspannen. Der wichtigste Botenstoff zur Hemmung der Muskelbewegung ist die sogenannte „Gamma-Aminobuttersäure“ (kurz: GABA), die zum Beispiel für die Erschlaffung der Muskulatur während des Schlafens verantwortlich ist. Liegt im Gehirn (oder im Rückenmark) jedoch eine Schädigung vor, die die Ausschüttung der Neurotransmitter beeinflusst, werden bestimmte Nerven, die für die Muskelbewegung zuständig sind, dauerhaft aktiviert und es kommt zu einer Verkrampfung. In diesen Fällen ist die körpereigen produzierte Menge der GABA-Säure nicht ausreichend, um den entstandenen Reiz zu unterdrücken.
Da die Ursachen der überhöhten Muskelspannung in Gehirn und Rückenmark liegen, entfaltet Baclofen seine Wirkung genau dort: Der Wirkstoff, der eine ähnliche chemische Struktur hat wie die GABA-Säure, „dockt“ an dieser an und imitiert – und intensiviert dadurch – ihre Wirkung. Dadurch wird die Weiterleitung des Reizes zwischen jenen Nerven im Rückenmark gehemmt, die für die Muskelbewegung zuständig sind – das heißt, der betreffende Muskel erschlafft.
Anwendung & Wirkung von Baclofen – die wichtigsten Infos auf einen Blick :
- Anwendungsgebiete: Unterdrückung der erhöhten Muskelspannung (Spastizität), die durch eine Schädigung des Zentralen Nervensystems entsteht
- Behandlung folgender Erkrankungen: Multiple Sklerose, Kinderlähmung, Rückenmarksverletzungen aufgrund von Traumata
- Wirkung: Hemmung der Reizweiterleitung in Gehirn und Rückenmark mit der Folge einer Erschlaffung der betroffenen Muskelgruppen
- Laut Oliver Ameisen hilft Baclofen auch gegen Alkoholabhängigkeit. In Deutschland darf ein Medikament mit Baclofen jedoch noch nicht gegen Alkoholismus eingesetzt werden.
Anwendung und Dosierung – was Sie beachten sollten
Die Anwendung von Baclofen sollte nur mit ärztlicher Begleitung erfolgen. Es gibt zwei Möglichkeiten, den Wirkstoff zuzuführen: In Form von Tabletten oder als Infusion bzw. Injektion. Die Behandlung mit Tabletten wird in der Regel für Patienten mit leichteren spastischen Lähmungen gewählt. Hier handelt es sich um eine Langzeitbehandlung, die unter keinen Umständen plötzlich unterbrochen werden darf, sondern über einen Zeitraum von etwa drei Wochen „ausgeschlichen“ werden muss. Die Dosierung sollte langsam gesteigert werden und darf bei Erwachsenen 75 Milligramm des Wirkstoffs pro Tag nicht überschreiten. In seltenen Fällen kann die Dosis aber auf bis zu 120 Milligramm/ Tag erhöht werden.
Für eine gute Verträglichkeit sollten Sie das Medikament während der Mahlzeiten oder aber mit einem Glas Milch einnehmen. Es empfiehlt sich außerdem, Baclofen stets zur gleichen Tageszeit zu sich zu nehmen. Bei der Behandlung älterer Menschen sollte die Dosierung nur sehr langsam und unter stetiger ärztlicher Beobachtung gesteigert werden. Für Kinder und Jugendliche stehen weniger stark dosierte Tabletten zur Verfügung. bei Kindern unterhalb eines Körpergewichts von 33 kg sollte Baclofen gar nicht angewendet werden.
Dosierung in Tablettenform
Altersgruppe | Dosierung | Tageshöchstdosis |
---|---|---|
Erwachsene | 75 mg/Tag | 120 mg/ Tag |
Kinder | deutlich geringere Dosen (in Absprache mit dem Arzt) |
Die Gabe von Baclofen als Infusion oder Injektion (intrathekale Verabreichung ins Rückenmark) wird in der Regel bei Patienten vorgenommen, die unter chronischen, sehr starken und dadurch extrem schmerzhaften Spasmen leiden. In diesen Fällen ist eine orale Einnahme nicht ausreichend, da bei „normaler“ Dosierung keine ausreichende Menge des Wirkstoffs am Wirkort der GABA-Säure im Rückenmark ankommt. Vor allem bei Patienten, die an Multipler Sklerose leiden, ist die orale Einnahme häufig nicht ausreichend, um die Spasmen zu kontrollieren. Nach Verabreichung einer Testdosis, muss die Dosierung für jeden Patienten individuell abgestimmt werden.
Die intrathekale Verabreichung von Baclofen ist sehr aufwändig und dadurch auch sehr kostspielig, da das entsprechende Medikament über einen Katheter mittels einer (unter die Haut) implantierten und computergesteuerten Pumpe direkt in die Gehirn- und Rückenmarks-Flüssigkeit (den sogenannten „Liquor cerebrospinalis“) gegeben wird. Bei der intrathekalen Verabreichung mittels implantierter Pumpe handelt es sich um eine Dauertherapie; die Injektion des Wirkstoffs ins Rückenmark kann jedoch auch einmalig bei akuten Beschwerden vorgenommen werden.
Besondere Vorsicht bei der Behandlung mit Baclofen ist geboten, wenn
- Sie an einer diagnostizierten Nieren- oder Leberfunktionsstörung, Magen-Darm-Geschwüren, Störungen der Atmung oder Bluthochdruck leiden,
- Sie schwere psychische Erkrankungen haben,
- Sie Diabetes haben.
Auf keinen Fall dürfen Sie Baclofen einnehmen, wenn
- Sie an einer diagnostizierten Nierenfunktionsstörung im Endstadium leiden,
- Sie an Epilepsie erkrankt sind,
- Sie allergisch auf den Wirkstoff reagieren,
- Sie aktuell schwanger sind (oder vermuten, es zu sein),
- Sie aktuell stillen.
Anwendung & Dosierung – die wichtigsten Infos auf einen Blick:
- Darreichungsformen: Tabletten oder Injektion/ Infusion ins Rückenmark
- Verringerte Dosis für Kinder, Jugendliche und ältere Menschen
- Anwendung ausschließlich mit ärztlicher Begleitung
- „Ausschleichen“ der Behandlung über einen Zeitraum von etwa drei Wochen
- Auf keinen Fall anwenden bei: Niereninsuffizienz, Epilepsie, Allergie auf Baclofen Schwangerschaft & Stillzeit
Mögliche Nebenwirkungen von Baclofen
Baclofen gilt im Allgemeinen zwar als gut verträglich, doch da der Wirkstoff so konzipiert ist, dass er die allgemeine Gehirnaktivität gleichsam „dämpft“, kommt es gerade zu Beginn der Therapie mit Baclofen häufig zu bestimmten Nebenwirkungen. Abgespanntheits- und Müdigkeitsgefühle bis hin zur Benommenheit und eine Verringerung der bewusst steuerbaren Muskelkraft sind als Nebenwirkungen nicht selten. Aus diesem Grund sollte vor allem das Führen von Fahrzeugen aller Art im Zweifelsfall von der Entscheidung des Arztes abhängig gemacht werden. Darüber hinaus können folgende Nebenwirkungen bei Einnahme von Baclofen auftreten:
Darreichungs-form | Sehr häufig | Häufig | Selten | Sehr selten |
---|---|---|---|---|
Tabletten | Müdigkeit, Schläfrigkeit, | Erbrechen, Verringerung der bewussten Muskelkraft, Herzklopfen, Mundtrockenheit, Zittern (Tremor), niedriger Blutdruck, Schwindel, Verdauungsstörungen aller Art, Probleme beim Wasserlassen, extreme Launenhaftigkeit, Schlafstörungen, Verwirrtheit | Sprechstörungen, Geschmacksstörungen, Bauchschmerzen, körperliche Unruhe, Leberfunktions-störungen | Allergische Reaktionen, dauerhafte Desorientiertheit, Muskelzuckungen, akute Erkrankungen des Gehirns mit EEG-Veränderungen |
Infusion | Müdigkeit, Schläfrigkeit, Kopfschmerzen, Krampfanfälle, | Angst, Agiertheit, Verwirrtheit, Depression, Lethargie, undeutliche Sprache, Schlaflosigkeit, Schwindel, Übelkeit, Erbrechen, Verdauungsstörungen aller Art, Fieber, Frösteln | Überempfindlichkeits-reaktionen gegenüber dem Wirkstoff | Lebensbedrohliche Zustände aufgrund von Entzugserscheinungen nach Absetzen des Wirkstoffs |
Neben gelegentlichen Nebenwirkungen kann es bei der Anwendung von Baclofen auch zu Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten kommen, da der Wirkstoff die Verstoffwechselung zahlreicher Arzneimittel beeinflusst. Die jeweilige Darreichungsform spielt bei den bekannten Wechselwirkungen keine besondere Rolle.
Zu einer gegenseitigen Wirkungsverstärkung kann es kommen, wenn zeitgleich mit der Einnahme/ Gabe von Baclofen auch andere Muskelrelaxanzien oder Medikamente mit dämpfendem Einfluss auf die Funktionen des Zentralen Nervensystems (z.B. diverse Psychopharmaka) eingenommen werden. Besonders abzusehen ist von der gleichzeitigen Einnahme von Baclofen mit Alkohol, da die Wechselwirkungen vielfältig sein können und bisher kaum erforscht sind.
Bei der Anwendung von blutdrucksenkenden Mitteln kann Baclofen eine Wirkungsverstärkung bewirken, weshalb eine regelmäßige Kontrolle des Blutdrucks (und eine etwaige Verringerung der Dosis) unerlässlich ist. Besondere Vorsicht ist geboten, wenn Sie zeitlich mit Baclofen auch Arzneimittel einnehmen, die die Nierenfunktion beeinträchtigen. Kann Baclofen nicht vollständig über die Nieren ausgeschieden werden, kann es über kurz oder lang zu Vergiftungserscheinungen durch das Medikament kommen.
Bei der Behandlung einer Alkoholabhängigkeit durch Baclofen könnten zudem neue Nebenwirkungen und auch Wechselwirkungen genannt werden. Insbesondere bei Rückfällen im Alkoholismus treten unter Umständen starke Wechselwirkungen mit dem Medikament auf.
Baclofen – die Wechselwirkungen auf einen Blick:
- Gegenseitige Wirkungsverstärkung bei gleichzeitiger Anwendung anderer Muskelrelaxanzien
- Wirkungsverstärkung bei gleichzeitiger Einnahme von blutdrucksenkenden Medikamenten
- Vergiftungsgefahr bei gleichzeitiger Einnahme von Medikamenten mit starkem Einfluss auf die Nierenfunktionen
- Unbekannte und möglicherweise verheerende Wechselwirkungen mit Alkohol
Verantwortungsbewusst therapieren – Rezeptpflicht für Baclofen
Der Wirkstoff Baclofen fällt sowohl in Deutschland als auch in Österreich und der Schweiz unter die sogenannte „Rezeptpflicht“. Medikamente mit dem entsprechenden Wirkstoff dürfen also nur gegen Vorlage einer ärztlichen Verschreibung an den Patienten/ die Patientin abgegeben werden.
Die Rezeptpflicht für Baclofen besteht, da es sich um einen Wirkstoff handelt, der bei Überdosierung oder falscher Anwendung lebensbedrohliche Nebenwirkungen und Wechselwirkungen haben kann. Dies gilt insbesondere für das Absetzen des Wirkstoffs, der ausschließlich unter ärztlicher Beobachtung und über einen Zeitraum von minimal drei Wochen erfolgen darf. Vor allem bei der intrathekalen Verabreichung ist eine regelmäßige ärztliche Kontrolle unerlässlich. Auch bei einer künftigen Behandlung von Alkoholabhängigkeit wird die Rezeptpflicht für das entsprechende Medikament mit Baclofen nicht fallen. In diesem Bereich wird nämlich ebenfalls eine strenge ärztliche Kontrolle notwendig sein.
Baclofen – ein Wirkstoff mit ungeahnten Möglichkeiten?
Die Gabe von Baclofen zur Behandlung und Linderung erhöhter Muskelspannung ist mittlerweile Usus in der Medizin. Der Wirkstoff zählt weltweit zu den wichtigsten Medikamenten zur Behandlung der Symptome bei Multipler Sklerose und anderen Beeinträchtigungen des Zentralen Nervensystems. Die Nebenwirkungen können zwar stark ausfallen, sind aber im Verhältnis zur Wirkungsweise noch als verträglich einzustufen.
Die Anwendung von Baclofen zur Unterstützung der Therapie bei Alkoholsucht ist in Deutschland zwar noch nicht zugelassen, doch es scheint nur eine Frage der Zeit zu sein, bis man dem französischen Vorbild von Oliver Ameisen folgt und die Behandlung offiziell bestätigt. Derzeit laufen zwei doppelblinde und placebokontrollierte Studien zum Thema Baclofen und Alkoholabhängigkeit, deren Auswertung voraussichtlich Ende 2015 erfolgen wird und von denen man sich die Bestätigung der positiven Ergebnisse zahlreicher Feldstudien verspricht, die in den letzten Jahren bereits durchgeführt wurden. Somit könnte hier ein neues Medikament gegen die Alkoholabhängigkeit entstehen.