In den letzten Wochen kursierte in den Medien eine Meldung, die über eine signifikant erhöhte Schilddrüsenkrebsrate bei Frauen in der Umgebung des abgeschalteten Atomkraftwerks in Hamm-Uentrop berichtete. Das Krebsrisiko lag demnach um 64% höher als in einer passenden Referenzregion. Natürlich setzen viele Menschen in der Region die Krebsgefahr mit der Nähe zum Atommeiler in Zusammenhang und ebenso natürlich wiegelt die Politik ab. Der Umweltminister aus NRW, Johannes Remmel (Grüne), sieht keinen Zusammenhang mit der Strahlung aus dem Atomreaktor Hamm-Uentrop, da es bei Männern keine Risikoerhöhung gebe und auch die Fälle anderer typischer Strahlungskrebsarten nicht auffällig seien.
In diesem Fall mag der Zusammenhang eventuell nicht gegeben sein und die hohe Krebsrate tatsächlich an der besonderen Vorsorgeaktivität liegen, aber das Ganze beschreibt sehr gut die Mechanismen, die in dieser Thematik immer wieder zum Tragen kommen. Geht es nach der Atomlobby und vielen jeweils verantwortlichen Politikern, ist eine Beweisführung für den Zusammenhang zwischen Atomkraftwerken und Krebsrate nahezu unmöglich. Immer wieder werden andere vermeintliche Gründe herangezogen. Auffällig ist jedoch, dass es recht häufig zu Krebsproblematiken in der Nähe von Atomkraftwerken kommt. Im Folgenden wollen wir die Thematik etwas genauer beleuchten und die Wirkung von ionisierender Strahlung noch einmal aufzeigen.
Wirkung von radioaktiver Strahlung auf den menschlichen Körper
Ionisierende Strahlung kann erhebliche Auswirkungen auf den menschlichen Organismus haben. Hierbei kommt es natürlich auf die Dosis an, die der menschliche Körper aufgenommen hat. Die Äquivalenzdosis (Kilojoule pro Kg innerhalb eines gewissen Zeitraums) wird in Sievert (Sv) gemessen, wobei eine Kurzzeitbestrahlung von 7 Sv als sicher tödlich gilt. Die natürliche radioaktive Strahlung durch kosmische Strahlung, Radonansammlungen oder entsprechende Partikel in Nahrungsmitteln liegt je nach Region bei 1 bis 10 Millisievert (mSv=0,001 Sv) pro Jahr (Deutscher Durchschnitt: 2,2 mSv). Ohne die natürliche und eventuelle medizinische Strahlung bei Behandlungen dürfen normale Bürger laut Gesetz maximal noch einer zusätzlichen Strahlung von 1 mSv pro Jahr ausgesetzt werden. Für Personen, die durch ihren Job radioaktiver Strahlung ausgesetzt sind, gelten wieder andere Grenzwerte. In der folgenden Tabelle werden die Dosen übersichtlich aufgezeigt.
Natürliche Strahlung | Max. Strahlung/ Jahr (zus.) | Max. Strahlung/Leben (zus.) | |
---|---|---|---|
Normalbürger | ca. 2,2 mSv/Jahr | 1 mSv | so niedrig wie möglich |
Strahlungsquellen im Job | ca. 2,2 mSv/Jahr | 20 mSv | 400 mSv |
Die radioaktive Strahlung kann bei Exposition eines Menschen zu Veränderungen im Erbgut führen. Durch entsprechende Mutationen sterben die Zellen entweder ab oder verändern sich dauerhaft. Eventuelle gesundheitliche Folgen sind vielfältig und reichen von akuter Strahlenkrankheit und Fruchtbarkeitsbeeinträchtigungen über eine Trübung der Augenlinse sowie Fehlbildungen von Kindern während der Schwangerschaft bis hin zu schweren Erbkrankheiten und Krebs. Hier noch einmal die Auswirkungen von radioaktiver Strahlung auf den menschlichen Körper:
- Akute Strahlenkrankheit ab 4 Sv (Übelkeit, Erbrechen, Entzündungen, dauerhafte Unfruchtbarkeit, Haarausfall, bei Überleben 20% erhöhtes Krebsrisiko )
- Fruchtbarkeitsbeeinträchtigungen
- Trübung der Augenlinse
- Fehlbildungen von Kindern während der Schwangerschaft
- Verschiedene Krebsarten
Zusammenhang zwischen Krebs und Atomkraft – Beispiel Tschernobyl
Seit der Katastrophe in Tschernobyl am 26. April 1986 gibt es bis heute Streitigkeiten über die gesundheitlichen Langzeitfolgen. Unstrittig ist lediglich, dass 134 Helfer an der Strahlenkrankheit litten, von denen noch im Jahr 1986 28 Personen an den Folgen starben. Ansonsten gehen die Meinungen über Langzeitfolgen in Form von Krebs weit auseinander. Dies mag auch an der Tatsache liegen, dass sich Krebserkrankungen mit einer Latenzzeit von 20-40 Jahren eventuell noch nicht niedergeschlagen haben oder aufgrund der allgemein steigenden Krebszahlen nicht identifiziert wurden. Hier einige interessante Prognosen:
- Die Zahl der Schilddrüsenkrebserkrankungen ist laut dem Wissenschaftlichen Ausschuss der Vereinten Nationen zur Untersuchung der Auswirkungen der atomaren Strahlung (UNSCEAR) nach dem Ereignis schlagartig um 1.800 angestiegen und damit der höchste Anstieg, der sich mit einem einzelnen Ereignis in Verbindung bringen lässt.
- Die WHO und die IEAA gehen zudem von 9.000 zusätzlichen Krebsopfern durch die Katastrophe aus
- Eine IPPNW Studie aus dem Jahr 2011 geht davon aus, dass durch Tschernobyl knapp 256.000 zusätzliche Krebsfälle bis zum Jahr 2056 zu beklagen sein werden. Zudem seien von den 830.000 Liquidatoren des Kernkraftwerks bereits 112.000 verstorben, wobei die strahlenbedingte Mortalitätsrate bei 90% lag.
Natürlich geben Atom-Befürworter hierbei stets zu bedenken, dass die meisten Folgen nicht nachweislich durch die Atomkraft zustande kamen. Gerade die Langzeitfolgen sind eben einfach sehr schwierig nachzuweisen. Trotzdem sprechen die Zahlen eine deutliche Sprache: sprunghaft erhöhte Schilddrüsenkrebsfallzahlen, Verdacht bei Brustkrebs und Leukämie sowie anderen Krebsarten.
Krebsfälle und Atomkraftwerke in Deutschland – Allgemeines
Das erste Atomkraftwerk zur Energiegewinnung wurde in Deutschland 1962 in Kahl errichtet. Inklusive Forschungs- und Unterrichtsreaktoren kommt Deutschland insgesamt auf 110 Anlagen, von denen mittlerweile jedoch viele stillgelegt wurden. Die erste große Zäsur erfolgte im Jahr 2000 durch den Atomkonsens der rot-grünen Bundesregierung unter Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD). Demnach sollte es ein Neubauverbot für Kernkraftwerke geben und die verbleibenden 19 Werke durften nur noch für einen begrenzten Zeitraum am Netz bleiben. Im Jahr 2021 sollten dann alle Werke abgeschaltet sein.
Die im Jahr 2009 gewählte schwarz-gelbe Bundesregierung wollte den Atomkonsens zumindest teilweise rückgängig machen und beschloss 2010 eine Laufzeitverlängerung um durchschnittlich 12 Jahre. Als sich Anfang 2011 in Fukushima die nächste große Atomkatastrophe ereignete, wurde schnell ein Moratorium über 3 Monate für die Laufzeitverlängerung ins Leben gerufen. Zudem sollten die 7 ältesten Krenkraftwerke abgeschaltet werden, während die verbleibenden 9 noch bis zum Jahr 2022 am Netz bleiben dürfen.
Unabhängig von der Bewertung des Schlingerkurses in der Atompolitik bleibt festzuhalten, dass auch heute noch 9 Atommeiler in Deutschland aktiv sind. Dabei stellt sich nicht nur die Frage, welche Spätfolgen ein eventueller GAU mit sich bringen könnte. Auch der normale Betrieb und kleinere Störfälle sorgen offensichtlich für Probleme, die jedoch von der Atomlobby und teilweise auch von der Politik gerne totgeschwiegen werden. Die obige News über die Erhöhung der Fälle von Schilddrüsenkrebs in Hamm-Uentrop ist dabei nur ein Beispiel. Viel offensichtlichere Ergebnisse lieferte dabei die sogenannte KIKK-Studie vom Deutschen Kinderkrebsregister in Mainz (DKKR) im Auftrag des Bundesamtes für Strahlenschutz.
Die KIKK-Studie – in AKW-Nähe erkranken mehr Kinder an Leukämie
Die KIKK-Studie wurde im Jahr 2007 vorgestellt und hat in belastbaren Fall-Kontrollstudien festgestellt, dass in einem Umkreis von 5 Kilometern um ein Atomkraftwerk in Deutschland die Leukämierate bei Kindern deutlich erhöht ist. Im Beobachtungszeitraum zwischen 1980 und 2003 seien 37 neue Fälle von Kinderleukämie aufgetreten, obwohl statistisch gesehen nur 17 hätten auftreten dürfen. Allein durch die Nähe zu den Atomkraftwerken habe es also 20 Fälle mehr gegeben.
Natürlich wurde bei Veröffentlichung der Studie auch nach den Ursachen gefragt, doch die scheinen bis heute nicht bekannt. An der gemessenen Strahlung kann es laut Studienautoren nicht liegen, denn diese müsste erheblich höher liegen, um letztlich gefährlich zu werden.
Da fragt man sich doch: Woran liegt es dann? Ein Bericht des Umweltinstituts München legt nahe, dass die Strahlengefahr in der Nähe von Kernkraftwerken einfach bei weitem nicht gut genug erforscht ist. Somit könnte es also auch durchaus sein, dass die Strahlung die erhöhte Krebsrate bei Kindern bewirkt. Gerade bei Kleinkindern und Neugeborenen sei die gefährliche Strahlendosis viel niedriger anzusetzen. Auch hier zeigt sich wieder, dass die Entscheidungsträger im Bereich Atomenergie und Atompolitik vielfach offenbar gar kein Interesse an einer genauen Erklärung haben. Natürlich lässt sich dies nicht pauschal sagen, aber der Verdacht liegt nahe.
Aufklärung des Leukämie-Clusters in der Elbmarsch – Fehlanzeige?
Der Leukämie-Cluster (Häufung von Kinderleukämie-Fällen) in der Elbmarsch und Geesthacht wurde von verschiedenen Expertenkommission untersucht. Im Jahr 2004 hat die Expertenkommission Leukämie Schleswig-Holstein in ihrem Abschlussbericht (den 6 von 8 Experten unterzeichneten) der damaligen Landesregierung sowie der Staatsanwaltschaft vorgeworfen, ihre Arbeit zu behindern und insbesondere den vermeintlichen Brandfall auf dem GKSS-Forschungsgelände im Jahr 1986 nicht aufklären zu wollen. Dabei bezog sich die Kommission vor allem auf die Kontaminierung mit sogenannten Pac-Kügelchen, die in der Elbmarsch gefunden wurden.
Neben den Expertenkommissionen Schleswig-Holstein und Niedersachsen wurden noch weitere Studien in Auftrag gegeben. Da auch die Expertenkommission Niedersachsen keine anderen Umgebungsursachen für die erhöhten Leukämiefälle ausmachen konnte, wurde die NLL-Studie (Norddeutsche Leukämie- und Lymphomstudie) durchgeführt. Leider untersuchte diese eher den Zusammenhang zwischen Leukämiefällen bei Erwachsenen und der Nähe zu den Kernkraftwerken und war damit zur Klärung der Frage nicht geeignet. Das Ganze führte so weit, dass sogar die Zufallshypothese ins Spiel gebracht wurde!
Fazit
Es ist nachgewiesen, dass ionisierende Strahlung das Erbgut eines Menschen verändert und somit zu Mutationen führen kann. Solche Mutationen können zu Tumoren werden und auf diesem Weg die Gesundheit eines Menschen radikal gefährden. Ferner lässt sich nicht leugnen, dass wir durch natürliche Radioaktivität bereits dauerhaft Strahlungsquellen ausgesetzt sind. Auch wenn die abgegebene Strahlung eines AKWs unterhalb bestimmter als gefährlich eingestufter Grenzwerte liegt, handelt es sich dennoch um ZUSÄTZLICHE Strahlenbelastungen, die insbesondere für Kinder wohl schon als zu hoch gelten können. Nicht umsonst erhöhen sich vor allem bei Kindern die Krebsraten enorm. Darüber hinaus bleibt natürlich die Gefahr eines GAUs, der ganze Landstriche unbewohnbar machen könnte. Letztlich stellt sich also nur eine Frage:
Ist diese Energiequelle ein solches Risiko (erhöhte Kinderkrebsraten, Angst vor einem GAU, Gefährdung der Gesundheit) wert?
Befürworter der Kernkraft werden immer wieder Argumente finden, um einen Zusammenhang zwischen Krebsgefahr und Atomkraftwerken zu leugnen. Dies ist schon deshalb so einfach möglich, weil ein Tumor eben nicht als direkte Folge auftritt, sondern eine gewisse Latenzzeit aufweist. Trotzdem sollte sich jeder vor Augen halten, dass die vielen Korrelationen nicht mehr mit dem Zufallsargument abgetan werden können.