Jeder kennt sie – jene Lebensphasen, in denen die eigenen Sorgen und Probleme so mächtig erscheinen, dass gute Laune, Spaß und Lebensfreude einfach nicht mehr aufkommen wollen; in denen das eigene soziale Umfeld sich zwar redlich Mühe gibt, uns ein Lächeln aufs Gesicht zu zaubern, aber so gut wie jeder Versuch zur Aufmunterung an uns abprallt. Meist verschwinden diese Phasen nach einer Weile von selbst wieder und man kann die Vorzüge von Zerstreuung und Spaß wieder zulassen. Bleibt der Zustand der Lustlosigkeit jedoch über einen längeren Zeitraum bestehen, könnte es sich um einen ernstzunehmenden Symptomkomplex aus dem Bereich der psychischen Störungen. Sein Name: Anhedonie.
Wie entstehen Anhedonien?
Der Begriff Anhedonie stammt aus dem Griechischen und setzt sich aus den Worten an für „nicht“ und hedoné für „Lust“ zusammen. Anhedonie beschreibt also eine krankhafte Unlust. Allerdings hat diese Unlust nichts mit dem mangelnden Willen des Patienten, sondern vielmehr mit einer mentalen Unfähigkeit oder verminderten Fähigkeit eines Menschen zu tun, Lust, Vergnügen und Freude zu empfinden. Denn im Zuge einer solchen Krankheit kommt es zu Störungen im Hormon- und Neurotransmitterhaushalt des Körpers, wodurch positive Gefühlseindrücke nicht mehr oder nur unzureichend empfunden werden können.
Die Wissenschaft ist sich noch nicht einig, ob besagte Störungen eine Folge oder die biologische Entstehungsursache der Anhedonien sind. Fakt ist jedoch, dass es durch das störungsbedingte Ungleichgewicht im Neurotransmitter- und Hormonhaushalt zu Veränderungen im limbischen System des Gehirns kommt. Das Hirnareal ist für die Verarbeitung von Emotionen zuständig und beherbergt zudem das hirneigene Belohnungszentrum (Nucleus accumbens), welches die Entstehung von Glücksgefühlen steuert. Störungen im limbischen System haben also unweigerlich auch emotionale Störungen zur Folge. Die Anhedonie ist eine davon.
Ursachen der Anhedonie
Die Anhedonie ist eher als ein krankheitsbedingtes Syndrom anzusehen und nicht als eigenständiges Krankheitsbild. Ausgelöst werden kann sie dabei sowohl durch psychische, als auch durch psychische Erkrankungen. Einzelheiten hierzu finden Sie in der nachstehenden Übersicht:
- psychische Störungen: Die häufigsten Ursachen für Anhedonien sind bestehende psychische Erkrankungen, die in der Regel mit dem limbischen System in Verbindung stehen. Hierzu zählen unter anderem Depressionen, Posttraumatische Belastungsstörungen und Persönlichkeitsstörungen wie das Borderline-Syndrom oder Schizophrenie. Gerade eine Persönlichkeitsstörung wie die Schizophrenie bringt zahlreiche Symptome mit sich, von denen auch Freudlosigkeit ausgeprägt sein kann. Ferner seien eine fehlende psychische Widerstandskraft (Resilienz) und eine verzerrte Selbstwahrnehmung, etwa im Rahmen einer Sozialphobie, als mögliche Auslöser erwähnt.
- seelische Belastung: Dicht gefolgt werden psychische Ursachen von traumatischen Erlebnissen. Auch sie können sich massiv auf die Psyche auswirken und über Störungen des limbischen Systems einen Verlust des Lustempfindens herbeiführen. Denkbar sind zum Beispiel Stressbelastungen wie das Burnout-Syndrom und Traumatisierungen durch soziale Ausgrenzung oder körperliche bzw. seelische Gewalt. Ebenso können traumatische Verluste wie der Tod eines Angehörigen oder einschneidende Erlebnisse wie eine schwere Krankheit die Symptome auslösen. Gerade im Kindesalter führen entsprechende Traumata nicht selten zu einer gestörten emotionalen Entwicklung und damit verbundenen psychischen Störungen, was das Risiko weiter erhöht.
- Hormon- und Stoffwechselstörungen: Im Bereich der körperlichen Erkrankungen führen vor allem Störungen im Hormon- und Stoffwechselhaushalt zu bedenklichen Veränderungen im limbischen System. Zu nennen wären hier neben Schilddrüsenunterfunktion vor allem hormonelle Störungen und Mangelerscheinungen. Vor allem Serotonin- und Vitamin-D-Mangel sind immer wieder für Beeinträchtigungen im Lustempfinden verantwortlich. Während Serotonin auch als sogenanntes Glückshormon bekannt ist und folglich die Ausschüttung von Glücksgefühlen steigert, stellt Vitamin D einen wichtigen Baustein für die Serotoninproduktion dar. In beiden Fällen kann ein stofflicher Mangel das Lustempfinden massiv einschränken.
- sonstige Gesundheitsbeschwerden: Ebenfalls nicht als Ursache für Anhedonien auszuschließen sind angeborene Fehlentwicklungen des Gehirns, Nervenerkrankungen sowie Störungen des limbischen Systems durch Medikamente oder Drogen. In allen vier Fällen verändern sich Neurotransmitter- und Hormonhaushalt oftmals drastisch, was das Lustempfinden stark beeinträchtigen kann.
Symptome der Anhedonie
Anhedonie ist eine Negativsymptomatik, weshalb mehrere Symptome charakteristisch sind. Um von einer Erkrankung zu sprechen, müssen entsprechende Beschwerden also in Kombination und über einen konstanten Zeitraum hinweg (mehr als 2 Wochen) auftreten. Typisch für das Syndrom sind hierbei folgende Symptome:
- Freudlosigkeit und Anteilnahmslosigkeit an Dingen wie Musik oder sozialen Aktivitäten
- Unzufriedenheit mit sich selbst und dem Verlauf des eigenen Lebens
- Trübsinnigkeit gegenüber (neuen) Ideen und Vorschlägen
- Entmutigung gegenüber Veränderungen
- Isolation vom eigenen sozialen Umfeld
Diagnose und Behandlung bei Anhedonie
Der erste Weg sollte immer zu einem Psychotherapeuten führen. Da es sich hier um ein psychisches Syndrom handelt, muss der Fachmediziner innerhalb einer ausführlichen Anamnese zunächst bestimmte Verhaltensweisen und Ursachen beurteilen, die theoretisch für eine Anhedonie sprechen. Im Anschluss sind dann körperliche Untersuchungen notwendig.
Auffälligkeiten im Bereich der hirneigenen Neurotransmitter, ebenso wie körperliche Grunderkrankungen, lassen sich hierbei am besten durch bildgebende Verfahren (z.B. EEG oder MRT) und Labortests, etwa in Form von Blut- und Urintests ausfindig machen. Besteht hingegen der Verdacht auf psychische oder seelische Ursachen, sind sowohl zur Diagnosestellung als auch zur Behandlung weiterführende Gesprächstherapien notwendig. Alles in allem umfassen die Behandlungsmaßnahmen bei Anhedonien folgende Möglichkeiten:
- medikamentöse Behandlung: Je nach Krankheitsursache können verschiedene Medikamente zum Einsatz kommen. Denkbar sind zum Beispiel Nährstoffpräparate bei Mangelerscheinungen, Hormonpräparate bei gestörtem Hormonhaushalt oder Antidepressiva und Antipsychotika bei Depressionen und anderen psychischen bzw. seelischen Belastungen.
- Gesprächs- und Verhaltenstherapie: Zur Behandlung von psychisch oder seelisch motivierten Anhedonien, wie auch zur Prävention künftiger Rückfälle, sollten sich Patienten in die Obhut eines Psychotherapeuten begeben. Denn es ist nicht nur wichtig, sich über das Empfinden der belastenden Störung im emotionalen Bereich auszusprechen. Betroffene sollten geeignete Verhaltensweisen erlernen, um nicht in einen Teufelskreis aus sozialer Isolation und Anteilnahmslosigkeit abzurutschen. Auch traumatische Erlebnisse und Stressbelastungen können im Zuge der psychotherapeutischen Maßnahmen angegangen werden.
- Umstellung der Ernährung und Lebensweise: Dem Körper gezielt Vitamin D über Lebensmittel wie Fisch oder Pilze zukommen zu lassen, ist ebenso wichtig, wie das Vitamin durch ausreichende Aufenthalte in der Sonne einzufangen. In manchen Fällen kann die Entstehung von Glücksgefühlen durch die gezielte Anregung des Serotoninhaushaltes so gefördert werden. Auch sollten sich Betroffene trotz scheinbarer Freudlosigkeit an alltäglichen Unternehmungen nicht zurückziehen, sondern bewusst gegen die Anteilnahmslosigkeit ankämpfen.
Anhedonie – Verlauf, Komplikationen und Prävention
- Der Verlauf hängt stark davon ab, ob die zugrundeliegende Ursache behandelt werden kann oder nicht. Bei angeborenen Fehlentwicklungen des Gehirns oder erworbenen Gehirnschäden ist dies nicht ganz so einfach wie bei medikamentös behandelbaren Erkrankungen. Der Großteil aller Anhedonien ist jedoch auf gut therapierbare Ursachen zurück zu führen.
- Komplikationen entstehen bei Anhedonien maßgeblich durch ihre Auswirkungen auf das Gefühlsleben und Sozialverhalten der Betroffenen. Die mangelnde Fähigkeit, Freude, Lust und Spaß zu empfinden, ist für Patienten unglaublich belastend und kann neben Depressionen auch zu einer erhöhten Suizidgefahr führen. Zudem erschwert das Syndrom den Umgang mit anderen Personen und damit die Teilhabe am sozialen Leben.
- Vorbeugen lässt sich der Negativsymptomatik nur bedingt. Geht es um Mangelerscheinungen, besteht eine geeignete Prävention in einer ausgewogenen Ernährung. Zur Vermeidung von Anhedonien aufgrund psychischer und seelischer Belastung ist hingegen eine zeitnahe psychotherapeutische Behandlung notwendig.
Fazit
Anhedonie ist ein ernstes psychisches Syndrom, bei dem es durch Störungen im limbischen System zum Verlust positiver Empfindungsfähigkeit kommt. Betroffene verspüren keinen Spaß mehr am Leben, was den Alltag zu einer qualvollen Angelegenheit machen kann. Wichtig ist, sich trotz mangelnder Begeisterungsfähigkeit nicht sozial zu isolieren und in seine depressive Grundstimmung zu ergeben. Finden Sie den Mut, einen Psychotherapeuten aufzusuchen und mit ihm gemeinsam Wege aus der Tristesse zu finden. Denn erfreulicher Weise sind die meisten Ursachen für das Syndrom gut behandelbar, sodass Anhedonien nur selten einen chronischen Verlauf nehmen.